Eine ungewöhnliche Reise

Nein, eine Hochzeitsreise war es nicht, noch nicht. Aber es war eine Reise, die den Grundstein gelegt hat für unser späteres Leben, denn wir haben auf dieser Reise gelernt, gemeinsam durch dick und dünn zu gehen.

 

1968 haben Renate und ich in derselben Firma gearbeitet, sogar in derselben Abteilung. Renate im technischen Bereich und ich im kaufmännischen. Wir hatten nicht nur beruflich viel miteinander zu tun, sondern haben auch privat vieles zusammen unternommen und waren uns sehr viel näher gekommen.

Zu diesem Zeitpunkt hatte unsere Firma einen großen Auftrag erhalten von einer noch größeren West-Berliner Firma über die Lieferung von vielen Tonnen feuerfesten Steinen und feuerfestem Mörtel für die Auskleidung eines sehr langen gewölbten Tunnelofens, der für die Stahlproduktion bestimmt war.

 

Die meisten Steine mussten in unserer Fertigung auf Maß geschnitten werden. Wir Mathematiker wissen, auf Keilform, wegen der Wölbung des Ofens.

 

Unser Berliner Kollege hatte außerdem noch den Auftrag erhalten, den Ofen mit diesen Steinen auszukleiden. Zu diesem Zweck hatte er etwa 20 Ofenmaurer zusätzlich engagiert, weil der Ofen zu einem bestimmten Zeitpunkt wieder in Betrieb gehen musste, anderenfalls wäre eine höhere Konventionalstrafe fällig gewesen.

 

Unsere Mitarbeiter in der Fertigung hatten tagelang Steine zugeschnitten und irgendwann die Arbeit niedergelegt, weil sie mehr Geld haben wollten. Da mehr Geld nicht drin war, weil  solche großen Aufträge in der Regel zu einem Festpreis vergeben werden, die Berliner Kollegen aber auf das Material warteten, haben mein Kollege, der als Ingenieur in der Technik tätig war und ich uns entschlossen, uns an die Maschinen zu stellen und den restlichen Tag und die halbe Nacht über Steine zu schneiden. Für uns Schreibtischtäter war die Arbeit recht ungewohnt und ich konnte die Kapp- und Gehrungssäge zum Schluss nicht mehr mit einer Hand herunterdrücken, ich musste die andere Hand auch noch zur Hilfe nehmen.

 

Am nächsten Tag -es war ein Freitag- sollte die ganze Ladung nach Berlin geschafft werden. Allerdings fand unsere Expedition keinen Spediteur, der die Sendung noch am selben Tage nach Berlin bringen würde.

 

Da ich wenige Jahre zuvor bei der Bundeswehr einen LKW-und Panzer-Führerschein gemacht hatte, habe ich vorgeschlagen, man möge doch einen LKW chartern, mit dem ich dann den ganzen Krempel nach Berlin fahren würde. Der Vorschlag wurde dankbar aufgenommen und der LKW wurde angemietet und beladen, während ich mich noch für wenigstens einige Stunden aufs Ohr gelegt habe.

 

Richtig ausgeschlafen war ich natürlich nicht, deshalb fragte unser Abteilungsleiter Renate, ob sie mich nicht begleiten und dafür sorgen wolle, dass ich während der Fahrt nicht einschlafe.

 

Renate wollte und so haben wir eine abenteuerliche Reise mit einem vollbeladenen 20-Tonner-Diesel nach Berlin gemacht, damals noch durch die DDR mit allen Schwierigkeiten während der Fahrt und an den Grenzübergängen.

Schon während der Fahrt durch die DDR kam unvorstellbarer Nebel auf und man hat kaum die Hand vor Augen sehen können, geschweige denn die vor uns liegende Autobahn. Renate hat versucht, rechts aus dem Fenster auf den Seitenstreifen zu achten und ich war bemüht, aus dem linken Seitenfenster den Mittelstreifen im Auge zu behalten. Trotzdem sind immer wieder LKW´s links an uns vorbeigerast. Als der Nebel sich später gelichtet hatte, haben wir einige von ihnen, zum Teil brennend, links und rechts im Graben liegen sehen.

 

Wir haben die Fahrt durch die DDR bei allen Schwierigkeiten und zum Teil im Schritttempo  Gott sei Dank gut überstanden und kamen schließlich nach vielen Stunden an der Grenze zu West-Berlin an. Die Grenzbeamten der DDR, die Vopos hatten wahrscheinlich vermutet, dass wir bei der Reise durch die DDR einige Flüchtlinge aufgenommen oder andere aus ihrer Sicht unerlaubte Sachen gemacht haben, weil unsere Durchfahrt länger als üblich gedauert hatte. Sicher auch aus diesem Grunde wurde unser LKW nach allen Regeln der Kunst auseinander genommen,  zum Teil entladen und von allen Seiten auch mit Hilfe von Spiegeln etc. untersucht und ich musste mich darüber hinaus noch in einem gesonderten Raum fast komplett ausziehen. Die Vopos haben nichts gefunden und haben uns gestattet, den LKW wieder zu beladen und wir konnten danach unseren Weg zur Baustelle in West-Berlin fortsetzen, wo unsere Kollegen schon sehnsüchtig auf den Nachschub gewartet hatten. Als wir nämlich nachts gegen 22:00 Uhr dort eintrafen, hatte das Team bereits eine Zwangspause einlegen müssen, weil die letzten Steine aufgebraucht waren. Entsprechend freudig wurden wir begrüßt.

 

Nachdem die Kollegen den LKW entladen hatten, fuhren wir zum Hotel, um unsere Zimmer zu beziehen. Als wir dort abgekämpft und völlig übermüdet und in einem für Hotelgäste nicht unbedingt üblichen Outfit ankamen, war das erste, um was uns der Nacht-Portier gebeten hatte, dass wir die Übernachtung doch bitte im Voraus bezahlen mögen. Auch das haben wir überstanden und nachdem wir noch etwas gegessen haben, fielen wir um Mitternacht völlig übermüdet ins Bett, damals noch jeder in sein eigenes.

 

Am nächsten Morgen haben wir nach einem ausgiebigen Frühstück eine kleine Stadtrundfahrt gemacht, wiederum mit dem 20-Tonner-Diesel, bevor wir uns auf den Heimweg machten. Auch auf der Rückfahrt mussten wir einige Kontrollen an den Grenzen über uns ergehen lassen, aber wir sind Gott sei Dank wohlbehalten wieder in Hamburg angekommen.

 

Als wir an einem der nächsten Werktage wieder in unserer Firma waren, mussten wir bei unserem Chef antanzen und durften uns dort ein dickes Lob abholen mit einer kleinen finanziellen Belohnung als Dankeschön.

 

Unsere ungewöhnliche Reise nach Berlin fiel zwar etwas aus dem Rahmen, aber für uns war es damals selbstverständlich, dass wir uns für unsere Firma mehr als überdurchschnittlich eingesetzt haben, wenn es erforderlich war.

 

Damals wurden die Mitarbeiter allerdings auch noch in der Regel am Erfolg und am Gewinn der Firma beteiligt. Es gab Gott sei Dank noch nicht diesen unerträglichen Zwang zur Gewinnmaximierung und kurzfristigen Renditesteigerung,  von der letztendlich immer nur wenige Kapitaleigner profitieren, die in der Regel noch nicht einmal etwas mit der jeweiligen Firma zu tun haben oder, wie wir heute wissen, einige Manager, auch wenn sie den Karren ansonsten in den Dreck gefahren haben. Die Mitarbeiter, die ihren nicht unerheblichen Teil zum Erfolg einer Firma beigetragen haben, haben da meistens das Nachsehen. Eine hemmungslose Gewinnmaximierung kann immer nur auf Kosten Anderer umgesetzt werden.

 

Es bleibt zu hoffen, dass diese Entwicklung wieder in vernünftige Bahnen gelenkt wird, denn wie sagt schon die Bibel: Zu den größten Sünden der Menschheit zählen Geiz und Gier. Und noch ein Gleichnis sei aus der Bibel zitiert: "Der Tanz um das goldene Kalb."  Und nichts anderes erleben wir heute.

 

Renate und mir hat unsere ungewöhnliche Reise nach Berlin allerdings sehr viel gegeben und sie hat letztendlich dazu geführt, dass wir heute glücklich zusammenleben dürfen.