Der Panzerfahrer

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Nach meiner Grundausbildung bei der Bundeswehr in einem Kaff in Schleswig-Holstein wurde ich in eine Kaserne in eine etwas größere Stadt, ebenfalls in Schleswig-Holstein, verlegt, um dort die restlichen 15 Monate meines Grundwehrdienstes zu verbringen.

Nachdem ich dort einen Traumjob ausgeschlagen hatte (siehe „Chance vertan?“)  wurde ich in eine Kampfeinheit, den Panzergrenadieren, versetzt, in der ich zum Panzerfahrer ausgebildet werden sollte, wahrscheinlich auf Grund der Tatsache, dass ich bereits einen Führerschein für PKW`s besaß. Ich war ja auch schon etwas älter, als die meisten meiner Kameraden.

Zunächst musste jedoch der Führerschein für LKW`s gemacht werden, bei dem wir in Theorie und Praxis umfassend ausgebildet wurden und das Gefühl nicht los wurden, dass wir nach der Ausbildung auch als Kfz.-Mechaniker anheuern könnten. Außerdem erinnere ich mich an einen Spruch unseres Ausbilders noch heute: "Fahre deutlich, vorausschauend, rücksichtsvoll und defensiv." Und das mache ich noch heute.

Als unsere Führerscheinprüfung anstand, wurden fünf Führerscheinanwärter und ich auf die Ladefläche eines LKW`s verladen (Bild nachstehend) und nach Lübeck gekarrt. Dort wurden wir auf einem Parkplatz am Ufer der Trave abgeladen und ein Prüfling nach dem anderen musste mit dem Fahrlehrer und dem Prüfer durch die Stadt kurven und seine Fahrkünste zeigen, um den Führerschein für LKW`s zu erhalten.

 

MAN LKW Bundeswehr Plane

Normalerweis dauerte die Prüfungsfahrt etwa eine halbe Sunde. Als ich aber als nächster an der Reihe war, kam und kam der LKW mit dem Prüfling und dem Prüfer nicht wieder. Erst nach einer gefühlt endlos langen Zeit kam der LKW zurück. Aber, und wir staunten nicht schlecht, am Steuer saß nicht der Prüfling, sondern der Fahrlehrer. Wie wir später erfuhren, ist der Prüfling beim Abbiegen in den engen Straßen von Lübeck einem parkenden PKW mit dem Hinterrad gewissermaßen über die Motorhaube gefahren. Nicht so lustig.

Als ich dann mit der Prüfung an der Reihe war, durfte ich fast alles, was man normalerweise bei so einer Prüfungsfahrt nicht darf. Z.B. durfte ich ein wenig auf den Fußweg ausweichen oder der Fahrlehrer ist ausgestiegen, um mich einzuweisen, wenn es sehr eng wurde. Auf jeden Fall hatten der Fahrlehrer und der Prüfer offensichtlich alles unternommen, damit es nicht wieder zu einem Unfall kommt. So habe ich meinen Führerschein für LKW´s nach einer relativ entspannten Prüfungsfahrt bekommen. Und dann ging es weiter.

Auf den Führerschein für LKW`s aufbauend, musste ich den Führerschein für Panzer machen. Das war nun wirklich ein komfortables Leben. Meistens vormittags hatten wir theoretischen Unterricht gehabt und nachmittags mussten wir mit einem Panzer durchs Gelände rauschen.

Im Gelände musste ein Fahrschüler mit dem Fahrlehrer das Gelände durchpflügen und wir anderen haben im Gras gelegen, gelesen, unsere Cola getrunken, uns gesonnt oder ein wenig herumgealbert. Ein wirklich super entspanntes Leben, während unsere Kameraden in der Einheit, die Panzergrenadiere, durchs Gelände robben und durch den Schlamm kriechen mussten usw.

Also haben wir Prüflinge uns überlegt, wenn wir durch die Prüfung rauschen würden, dann könnten wir dieses entspannte Leben vielleicht noch ein wenig länger genießen, weil  wir ja eine Nachschulung benötigen.

Als ich schließlich mit der Führerscheinprüfung an der Reihe war, bin ich mit dem Panzer wie ein Halbwilder durch die Prärie genagelt, habe kleine Büsche umgenietet usw., in der Hoffnung, dass ich durch die Prüfung fallen würde.


Da hatte ich allerdings die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Als der Prüfer mir nämlich nach der Prüfungsfahrt trotzdem meinen Führerschein aushändigte, hat er lediglich angemerkt, dass ich in Zukunft doch ein wenig vorsichtiger fahren sollte. Was blieb mir also anderes übrig, als das in Zukunft dann auch zu tun.

Nun war ich also ein Panzerfahrer und mußte den Schützenpanzer HS 30 fahren  Und auch da erlebt man so allerlei.

 

Schützenpanzer HS 30 im Juni 1965

File:Bundesarchiv B 145 Bild-F027418-0012, Schützenpanzer HS-30.jpg


Eines Tages hatten wir Natoalarm,  damals, und vielleicht auch heute, die höchste Alarmstufe bei der Bundeswehr. Wir sind also mit unseren Panzern, einschließlich Besatzung ausgerückt und mußten uns im Gelände verteilen. Eine Panzerbesatzung bestand in der Regel aus dem Panzerfahrer, dem Richtschützen, dem Kommandanten und vier bis sechs Panzergrenadieren, die hinten im relativ kleinen Mannschaftsraum, ohne Fenster zusammengepfercht sassen.

Leider hat unser Panzer nicht so richtig mitgespielt, wie es so oft bei diesem Panzertyp vorkam, und mußte zu einer  Instandsetzungskompanie, die tief im Wald versteckt ihren Sitz hatte. Dort angekommen dachten wir, wir könnten eine ruhige Kugel schieben, bis der Panzer wieder einsatzbereit war.
Aber weit gefehlt. Wir mußten rund um die Uhr das Lager bewachen. Ich wurde sogar für eine Nachtwache eingeteilt. Ich versuchte mich noch damit rauszureden, dass ich ja Panzerfahrer sei, und
wenn es dann wieder los ginge, müsse ich hellwach sein, um den Panzer fahren zu können und da bräuchte ich vorher  meinen Schlaf. Nützte aber nichts, auch ich mußte fernab vom Lager in dunkelster Nacht das Lager bewachen.
Ich schnappte also meine Maschinenpistole (MP) und begab mich in die Nacht. Irgendwann habe ich mich auf die Lauer gelegt und lauschte den Geräuschen der Natur in der Nacht. Plötzlich hörte ich ein Rascheln, das immer näher kam. Sofort schnappte ich meine MP und entsicherte sie. Als das Rascheln ganz dicht war, fasste ich instinktiv neben mich und griff in etwas sehr spitzes. Mir war sofort klar,  das muß ein Igel sein, der wohl die menschliche Nähe gesucht hat. Da habe ich meine MP wieder gesichert und zur Seite gelegt, denn den Igel konnte ich schwerlich als potentiellen Feind einstufen. So habe ich einen Teil der Nacht mit einem Igel verbracht.

Als unser Panzer nach der Reparatur wieder einsatzbereit war, hat uns ein Kradmelder auf einem Motorrad abgeholt, um uns zu unserer Einheit, ebenfalls tief im Wald verstreut, zu bringen.

Ich weiß nicht, was den Kradmelder geritten hatte, jedenfalls ist er wie ein Besengter  durchs Gelände genagelt. Da ich ja an ihm dran bleiben mußte, weil ich ja nicht wußte, wo sich unsere Einheit befindet, bin ich hinterher gebrettert. Irgendwann kam aber eine große Kuhle im Gelände, der ich bei der Geschwindigkeit nicht mehr ausweichen konnte. Der Kradmelder hat zwar einen Satz gemacht, aber er hat sich geschickt abgefangen. Unser Panzer machte zwar keinen großen Satz, aber er setzte doch etwas härter auf dem Boden der Kuhle auf. Ich konnte den harten Stoß für mich zwar abfedern, weil ich ihn ja habe kommen sehen, aber meine Kameraden im Mannschaftsraum konnten sich nicht irgendwo festhalten, weil sie ja die etwas härtere Landung nicht haben kommen sehen konnen, weil ihre Luken ja verschlossen waren.

Als wir am Ziel waren und meine Kameraden ausgestiegen sind, wollten sie mich als erstes verprügeln, weil sie sich doch ganz schön gestossen hatten. Ich hatte Mühe, ihnen zu erklären, dass ich mehr oder weniger unschuldig bin, weil ich den Kradmelder ja nicht aus den Augen verlieren durfte und der ist ja gebrettert wie ein Halbwilder. Na ja, meine Kameraden haben mir dann wohl doch verziehen.

Ein anderes Mal mußte ich einen sogenannten Radpanzer (siehe unten) zu einer Kaserne in Hamburg-Wandsbek bringen. Da diese Kaserne nicht weit entfernt von meinem Elternhaus in Hamburg-Wandsbek war, habe ich mich entschlossen, zunächst einen Abstecher zu meinen Eltern zu machen, um dort erst einmal anständig zu Mittag zu essen. Ich bin also mit dem Panzer zu meinem Eltern gefahren, die in einer Siedlung in einer relativ kleinen Strasse gewohnt haben. Dort habe ich den Panzer auf der Strasse vor meinem Elternhaus abgestellt, wurde freudig begrüßt und gleich entsprechend  bewirtet.
Als ich nach einiger Zeit, in der ich es mir habe gut gehen lassen, aus dem Fenster schaute, erschrak ich fürchterlich. Auf dem Panzer krabbelten Militärpolizisten, die Feldjäger,
herum. Ich raus, machte meine Meldung und habe den Feldjägern erklärt, dass ich schon eine Ewigkeit nicht mehr zu Hause war, und die Gelegenheit genutzt habe, meine Eltern zu besuchen. Das könnten sie ja beinahe verstehen, meinten die Feldjäger, aber ich hätte den Panzer niemals unbeaufsichtigt stehen lassen dürfen. Das habe ich auch nicht, erwiderte ich, ich habe pausenlos aus dem Fenster geschaut. So, meinten die Feldjäger, und wie kommt es dann, dass wir schon über eine viertel Stunde auf dem Panzer herumturnen, bis Sie hier auftauchen. Dann war ich wohl gerade auf Toilette, versuchte ich mich noch rauszureden. Na ja, es half nichts, ich würde wohl eine nicht so lustige Disziplinarstrafe zu erwarten haben.

Radpanzer, Google Bilder

Doch es kam anders. Die Feldjäger standen mit ihrem Jeep vor einem relativ kleinen, aber massiven Stein, der damals den Bürgersteig von der Strasse trennte. Kantsteine gab es noch nicht. Als die Feldjäger dann losfahren wollten, sind sie mit ihrem Jeep auf diesen Stein aufgefahren und hingen mit den Vorderrädern in der Luft. Mein Vater, der vor seiner Ausbildung zum Techniker Schmied gelernt hatte, ist sofort mit entsprechendem Werkzeug herausgeeilt und hat geholfen, den Wagen von diesem Stein zu heben und er hat versucht, entstandene Beulen ein wenig zu beseitigen, was ihm wohl auch mehr oder weniger gelungen ist. Mit einem großen Dankeschön an meinen Vater sind die Feldjäger dann entschwunden.
Danach habe ich den Panzer in die nahe gelegene Douamont-Kaserne, der heutigen Bundeswehr-Uni gebracht und den Kameraden dort erklärt, dass ich noch etwas zu erledigen hätte und den Panzer hier so lange parken müßte. Unter uns gesagt, ich war ja mit dem Mittagessen bei meinen Eltern noch lange nicht fertig.

Das Ende von dieser Geschichte war, dass ich, obwohl ich eine saftige Disziplinarstrafe zu erwarten hatte, nie wieder etwas in dieser Angelegenheit gehört habe. So hat der Besuch bei meinen Eltern mit einem Radpanzer doch noch ein glückliches Ende gefunden.