Chance vertan oder vielleicht doch nicht?

Es gibt Momente im Leben, da trifft man eine Entscheidung, die auf den ersten Blick mehr als unverständlich erscheint und man fragt sich hinterher, was hast du da bloß angestellt. Erst viel später erkennt man vielleicht, dass man doch die richtige Entscheidung getroffen hatte.

 

Es war Winter 1965/66, als meine Kameraden und ich die Grundausbildung bei der Bundeswehr beendet hatten und in eine Kampfeinheit in eine grössere Stadt in Schleswig-Holstein verlegt wurden, um dort die restliche Zeit unseres Grundwehrdienstes zu verbringen.

 

Als wir unsere neuen Unterkünfte bezogen, fanden sich auf meiner Stube alles Kameraden wieder, die schon etwas älter waren und eine Berufsausbildung hinter sich hatten. Ich selber hatte meine Lehre zum technischen Groß- und Aussenhandelskaufmann abgeschlossen. Ein weiterer Kamerad hatte ein Ingenieur-Studium absolviert, war verheiratet und hatte zwei kleine Kinder. Wir beiden verstanden uns auf Anhieb und haben uns sehr schnell angefreundet. Er war jemand, der nicht die große Lippe riskiert hat, sondern eher still und zurückhaltend war.

 

Meine Kameraden auf der Stube und ich haben zunächst erst einmal beschlossen, unsere neue Stuben- und Schicksalsgemeinschaft gebührend zu feiern. Und es wurde  auch tatsächlich ein sehr feuchter Abend.

 

Zuvor bekam ich jedoch völlig überraschend den Befehl, mich umgehend beim Brigade-Kommandeur zu melden. Da ich nicht wusste, was mich dort erwarten würde, zog ich meinen besten Zwirn an, setzte den harten Hut auf und meldete mich im Vorzimmer des Kommandeurs. Dort wurde ich sehr schnell zu ihm vorgelassen und nachdem ich meinen Spruch aufgesagt hatte, bot mir der Kommandeur sogar einen Sitzplatz an. Bei den sehr unterschiedlichen Dienstgraden zwischen uns beiden (ich hatte noch gar keinen und er war ziemlich weit oben in der Bundeswehr angesiedelt) war dies nicht gerade selbstverständlich.

 

Der Kommandeur kam ziemlich schnell zur Sache. Er erzählte mir, dass sein langjähriger Mitarbeiter in seinem Vorzimmer demnächst seinen Dienst bei der Bundeswehr beenden würde und er bräuchte jemanden, der seinem Platz einnimmt. Da ich die Hochschulreife hätte und bereits eine kaufmännische Ausbildung mit gutem Erfolg hinter mich gebracht habe, wäre ich der geeignete Kandidat für diesen Posten. Allerdings, so fuhr er fort, lohne das Einarbeiten nicht, wenn ich nur noch 15 Monate bei der Bundeswehr bliebe, ich müsste mich schon für drei, besser noch für sechs oder für noch mehr Jahre verpflichten. Er würde dann auch dafür sorgen, dass ich eine Offiziersausbildung durchlaufen würde.

 

Ich fühlte mich geschmeichelt und liess ihn wissen, dass ich großes Interesse hätte. Wer nämlich die damaligen Strukturen bei der Bundeswehr kennt, weiss, dass mir ein traumhafter Job angeboten wurde. Allerdings bat ich den Kommandeur noch um einen Tag Bedenkzeit, damit ich mir die ganze Sache noch einmal durch den Kopf gehen lasse, insbesondere was die Verlängerung der Dienstzeit anbelangt.

 

Der Kommandeur hatte vollstes Verständnis und gewährte mir die Bedenkzeit. Allerdings liess er mich auch wissen, dass er auf mich baut und mir wurden auch schon die Unterlagen für die Verlängerung der Dienstzeit ausgehändigt.

 

Gut gelaunt kam ich zu meinen Kameraden zurück und hatte auch schon den Kugelschreiber in der Hand, um mich länger zu verpflichten. Allerdings bestanden meine Kameraden darauf, dass wir zunächst einmal zusammen feiern müssen, alles andere habe noch Zeit. Das sah ich ein und ich legte den Kugelschreiber erst einmal wieder zur Seite und wir liessen die Gläser so richtig klingen.

 

An diesem Abend war in unserem Block ein blutjunger Gefreiter (UA) wachhabender Unteroffizier vom Dienst. Dafür, dass er nur einen überschaubaren Wortschatz hatte und mit der deutschen Sprache offensichtlich auf Kriegsfuß stand, konnte er vermutlich nichts, aber dafür, dass er uns offensichtlich zeigen wollte, dass wir, die deutlich älter waren als er, nach seiner Pfeife tanzen müssen, schon. Er liess an diesem Abend keine Gelegenheit aus, um uns seine vermeintliche Überlegenheit zu demonstrieren. Insbesondere auf meinen neuen Freund, dem Ingenieur, hatte er es anscheinend abgesehen. Mal war die Meldung von ihm nicht korrekt, wenn er wieder in unser Zimmer kam, mal war ausgerechnet er zu laut und mal soll er auf dem Flur nicht ordnungsgemäß gegrüßt haben usw.  

 

Irgendwann musste mein Freund wieder einmal zur Toilette und er kam und kam nicht zurück. Als er schliesslich wiederkam war er sichtlich verstört. Zu Einzelheiten wollte er sich nicht äußern, er sagte nur zu mir: „Dieter, wenn meine Kinder gesehen hätten, was der (UA) mit mir gemacht hat, sie würden mich noch nicht einmal mehr mit dem Hintern ansehen.“

 

Das war Wasser auf unsere Mühlen und der bis dahin lustige Abend  tat sein Übriges. Wir alle liessen kein gutes Haar an den damaligen Verhältnissen in der Bundeswehr und wollten nur noch unseren Wehrdienst so schnell wie möglich hinter uns bringen und dann wieder in die freie Wirtschaft zurück, weil dort insbesondere die Teamarbeit einen höheren Stellenwert hat.

 

Am nächsten Morgen musste ich wieder beim Brigade-Kommandeur antanzen, um ihm meine Entscheidung bezüglich meiner Weiterverpflichtung mitzuteilen.

 

Nicht nur die Eindrücke des vorangegangenen Abends, sondern auch die Nachwirkungen der feucht-fröhlichen Nacht, liessen mich eine Entscheidung treffen, die ich später manches Mal bereut habe.

 

Ich baute mich vor dem Kommandeur auf, machte meine Meldung und sagte ihm, dass ich mir es überlegt hätte. Das, was ich gestern Abend erlebt habe, reicht mir und ich reiße meine insgesamt 18 Monate bei der Bundeswehr ab und gehe dann wieder zurück in die freie Wirtschaft. Dort würde das, was gestern vorgefallen ist, bestimmt nicht passieren.

Die Gesichtszüge des Kommandeurs, immerhin ein Berufssoldat und auf der Karriereleiter der Bundeswehr ziemlich weit oben angesiedelt, schienen zu entgleisen. Er wollte nicht wissen, was am Tage zuvor passiert war, er fragte mich nur in einem nicht mehr ganz so freundlichen Ton, ob das mein letztes Wort sei. „Das ist mein letztes Wort,“ sagte ich zu ihm, und fühlte mich irgendwie erleichtert. Den letzten Befehl, den ich danach noch von unserem Brigade-Kommandeur persönlich erhalten hatte, war: „Wegtreten.“

 

Ich bin weggetreten und eingetreten in ein Leben bei der Bundeswehr, das nicht mehr so prickelnd war. Ich kam in die Kompanie, in der der Kompaniechef  vermutlich noch von einigen Beförderungen träumte. Entsprechend wurden wir gedrillt und auf Trab gehalten.

 

Die Wochenenden zuhause fielen entweder ganz aus, weil in der Kaserne Sonderschichten eingelegt wurden oder sie wurden stark verkürzt, weil ein im Schrank zusammengelegtes Hemd eine winzig kleine Falte zuviel aufwies oder weil wir einem kleinen Fleck auf einer der Armaturen  im Naßbereich nicht mit allen der Bundeswehr zur Verfügung stehenden Mitteln zu Leibe gerückt sind.

 

Später, als ich die Ausbildung zum Panzerfahrer erfolgreich abgeschlossen hatte, war ich mit Sicherheit der Panzerfahrer, der bei Batallions- oder Brigade-Wettkämpfen mitmarschieren musste, wenn es darum ging, komplette Panzerbesatzungen bei Gewaltmärschen gegeneinander antreten zu lassen. Allerdings muss ich sagen, dass diese „besondere Ehre“ nicht nur Nachteile hatte. Zu jener Zeit war ich ausserordentlich fit und habe bei Märschen schon mal das Gepäck von Kameraden mitgetragen, wenn diese erschöpft waren.

Erst viel später zog ich mir eine fiebrige Erkrankung an der Lunge zu und lag wochenlang im Bundeswehr-Lazarett. Da ich extrem hohes Fieber hatte, hatten meine Angehörigen jederzeit Zugang zu meinem Zimmer.

 

Ich habe mich damals, wenn ich völlig erschöpft von einem Marsch zurückkam oder wenn ich wieder einmal durch den „Dreck“ musste, manches Mal gefragt,  wie konnte ich nur so verrückt gewesen sein und den Traumjob, den mir der Brigade-Kommandeur angeboten hatte, auszuschlagen. Ausserdem hatte ich auch einige finanzielle Nachteile. Normalerweise wurde man damals nach einem halben Jahr Gefreiter, ich wurde es erst nach einem Jahr.

 

Heute bin ich mir aber sicher, dass der liebe Gott seine Hand im Spiel hatte. Denn wenn ich mich damals für sechs oder vielleicht für zwölf Jahre bei der Bundeswehr verpflichtet hätte, wäre ich aller Voraussicht nach nie wieder in meine ehemalige Lehrfirma zurückgekehrt und ich hätte dann auch niemals Renate kennen gelernt, zumindest nicht in der Zeit, in der sie ihren Märchenprinzen suchte, denn als ich nach meinem Grundwehrdienst wieder in meine damalige Firma zurückkam, hatte Renate zum gleichen Zeitpunkt in „meiner“ Firma und sogar in „meiner“ Abteilung angefangen. Wir haben uns relativ schnell angefreundet und sind bis zum heutigen Tage, mit einer kleinen Pause zwischendurch, zusammen.

 

Allerdings hätte der liebe Gott es mir damals auch etwas weniger spektakulär beibringen können, dass ich mich nicht länger bei der Bundeswehr verpflichten soll, so wie er es im weiteren Verlauf meiner Bundeswehrzeit offensichtlich auch getan hat.

 

Einige Kameraden und ich wurden abkommandiert, einen Vortrag über die Ausbildung zum Hubschrauber-Piloten anzuhören. Der vortragende Offizier schilderte den Verlauf der Ausbildung, bei der man zunächst den Pilotenschein macht, um dann darauf aufbauend den Pilotenschein für Hubschrauber zu machen. Allerdings sagte er auch, dass die Ausbildung langwierig und sehr teuer sei und Interessierte sich deshalb länger verpflichten müssten.

Trotzdem waren einige meiner Kameraden und ich Feuer und Flamme, denn mit Flugzeugen durch die Luft zu kurven, hatte auch damals einen ganz besonderen Reiz und wir haben ernsthaft mit dem Gedanken gespielt uns zu bewerben. Ganz zum Schluss und eher beiläufig und fast schon im Hinausgehen sagte der Offizier jedoch, dass in der Vergangenheit von einhundert Bewerbern letztendlich höchstens fünf den Pilotenschein auch tatsächlich bekommen würden. Alle anderen fielen bei den verschiedenen und sehr strengen Auswahlkriterien oder bei den Prüfungen durch.

 

Schlagartig wurde ich auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt, denn ich stellte mir vor, dass ich mich auf zwölf Jahre verpflichtet hätte und durch irgendeinen Eignungstest rausche und die restliche Zeit bei der Bundeswehr damit verbringen würde, Bremsklötze von den Hubschraubern wegzuziehen oder auf andere Art und Weise dafür zu sorgen, dass die Dinger fliegen können. So hatte ich auch dieser Versuchung widerstanden, mich bei der Bundeswehr länger zu verpflichten

 

Heute weiss ich, dass es die richtige Entscheidung war, dass ich damals „nur meine 18 Monate Grundwehrdienst abgerissen habe,“ auch wenn ich manches Mal schmerzlich daran erinnert wurde, dass ich es vermutlich einfacher gehabt hätte, wenn ich eine andere Entscheidung getroffen hätte. Das Glück jedoch, das ich danach gefunden habe, hat mich für alle Strapazen mehr als entschädigt.

So sah der schmucke Soldat damals aus


Sieger im Tischtennis-Turnier
Sieger im Tischtennis-Turnier

Schon damals war ich einigermaßen gut im Tischtennis und habe ein Turnier bei der Bundeswehr gewonnen. Ich glaube es gab daraufhin Sonderurlaub.
Und nicht nur das. Dadurch, dass ich bei der Bundeswehr meinen LKW- und später Panzerführerschein machen mußte, wurde die Grundlage dafür gelegt, dass ich als Ruheständler in meinem Nebenjob Busse und LKW`s  durch die Gegend fahren kann, bzw. konnte.

So hatte meine Zeit bei der Bundeswehr auch noch seine guten Seiten

Den Panzer HS 30 mußte ich damals fahren

Zur Abwechslung auch mal einen Radpanzer

Mit so einem Panzer habe ich 1966 auch meine Eltern in Wandsbek besucht

Zwei der vielen Busse, die ich im späteren Leben gefahren habe

Aufgrund des Führerscheins für LKW`s und Panzer, den ich bei der Bundeswehr machen mußte, durfte ich im späteren Leben auch die unten abgebildeten Busse und andere größere Fahrzeuge fahren.